Ein ganz erheblicher Teil der aktuellen Problematik mit neurechten Parteien ist meines Erachtens darauf zurückzuführen, dass man Probleme hochstilisiert, in permanentem Alarmismus lebt und auch von linker Seite den Menschen einredet, dass sie alle Opfer sind und es ihnen furchtbar schlecht geht und sie benachteiligt werden.
Tatsächlich ist emotionalisierende, von den wirklichen Ursachen der Probleme ablenkende Propaganda mit klar definiertem, oft rassistisch und sozialdarwinistisch aufgeladenem Feindbild in Form ethnischer, religiöser oder sozialer Gruppen schon immer ein Charakteristikum rechter Agitation gewesen. Das Problem dürfte wohl auch davon herrühren, dass die derzeit erstarkenden (neo-)rechten Kräfte die schon vor vielen, vielen Jahren im rechten und rechtsextremen Lager aufgekommene Strategie sich als soziale Gruppierungen besorgter Bürger zu präsentieren, die ja nur „das Gute“ wollen erfolgreich in die Tat umsetzen was ihnen gelingt, weil es (scheinbar) keine wirkliche Alternative mehr gibt. Das ist auch der Grund, warum die Sammlungsbewegung von Wagenknecht so überaus wichtig ist, um diesen Entwicklungen entgegenzutreten, weshalb es auch so irrsinnig ist, dass jetzt Heckenschützen im linken Lager das Feuer auf sie eröffnen.
Sehr unglücklich erscheint mir die Formulierung, dass man von „von linker Seite den Menschen einredet, dass sie alle Opfer sind und es ihnen furchtbar schlecht geht und sie benachteiligt werden.“. Tatsächlich dürfte es so sein, dass von den neoliberalen Maßnahmen der letzten Jahre und Jahrzehnte (deren Grundsteine streng genommen schon in den 90er Jahren nach dem Zusammenbruch der UdSSR (also der einzigen Macht, die eine Alternative zum westlichen Kapitalismus hätte bieten können) gelegt und u.a. von der angeblichen Arbeiterpartei SPD zementiert wurden)
genau eine Gruppe profitiert: Das Großkapital-und zwar auf der Kosten der Arbeiterklasse. Und dies ist etwas, was über viele Jahre hinweg auch von Wortführern wie Wagenknecht sowie Gruppierungen und Individuen weiter links korrekt benannt wurde. Ein Einreden kann man zumindest das nicht nennen, es sind Beschreibungen der sozialen Verwerfungen, die im Kapitalismus typisch sind.
Ich gehe davon aus, die staatlichen Transferleistungen bescheren den Betroffenen in Deutschland zwar keinen finanziellen Reichtum, doch sie bewahren monetär bedürftige Menschen vor Hunger, Durst, Kälte, Obdachlosigkeit usw. und ermöglichen eine gewisse Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Dann gehst du, fürchte ich, von einer falschen Annahme aus. Die staatlichen Transferleistungen genügen (aber auch nicht immer), um ein Überleben am Existenzminimum zu gewährleisten, aber für eine wirkliche gesellschaftliche Teilhabe reicht es ganz sicher nicht.
Wir können das ja mal (wenn auch nur kurz) am Fallbeispiel Hartz IV durchgehen. Konträr zu den Behauptungen des neoliberalen Gesundheitsministers Jens Spahn, dass Hartz IV zum Leben reiche (eine Bemerkung, die zornige Proteste auslöste), ist die Realität dergestalt, dass entsprechende Bezieher sich des öfteren nicht einmal Grundbedürfnisse wie Haareschneiden leisten können.
Ein weiterer Aspekt der Problematik besteht darin, dass das Existenzminimum zu niedrig berechnet wird, was die Betroffenen dazu zwingt z.B. die Hilfe von Tafeln oder ehrenamtlicher Organisationen anzunehmen, was eigentlich einen Rückfall in vormoderne Strukturen und somit ein Armutszeugnis für den modernen Staat darstellt.
Alles in allem ist der Tenor der in deiner Äußerung hier schon wieder mitschwingt derselbe wie bei Spahn.
Im Übrigen muss man sich natürlich fragen, ob die Transferleistungen wirklich ausreichen um die Menschen z.B. vor Obdachlosigkeit zu schützen in Anbetracht der Privatisierung des Wohnungsmarktes, der sich verringernden Anzahl an Sozialwohnungen und der daraus resultierenden Verknappung des bezahlbaren Wohnraums.
Zitat
Das sind Privilegien, die in sehr vielen anderen Nationen der Welt nicht existieren. Insofern geht es selbst den an oder knapp über der Armutsschwelle lebenden Deutschen relativ gut.
Das ist der Placeboeffekt des Relativismus. Es ist klar, dass die Situation in Deutschland gemessen an z.B. der in einem Dritte-Welt-Staat wesentlich besser erscheint. Da aber Deutschland eine moderne Industrienation ist, müssen höhere Qualitätsstandards angelegt werden (z.B. ein Vergleich mit Österreich). Und da nimmt sich Deutschland dann doch nicht mehr gar so gut aus (s.o.).
Zitat
Das wollte ich zum Ausdruck bringen.
Ging aus deiner ursprünglichen Formulierung
Doch es ist nun einmal ein Faktum, dass solche Situationen in Deutschland in keiner Weise vorliegen. Im Gegenteil: Deutschland verfügt über ein ausgesprochen solides und vielfach absicherndes Sozialsystem [...]. [...] In Deutschland geht es den Menschen im Allgemeinen hervorragend .
keineswegs hervor und ist auch in der redigierten Fassung noch immer überaus bedenklich.
Zitat
Sicher wäre es schön, besäßen alle Menschen viel Geld, doch man darf eben nicht außer Acht lassen, dass Sozialleistungen steuerfinanziert sind und somit von arbeitenden Menschen erwirtschaftet werden müssen.
Es geht nicht darum, dass alle Menschen viel Geld besitzen (wie kommst du eigentlich immer auf diese Art von Dualismen?), sondern darum, dass das Geld des Einzelnen reicht (oder reichen sollte) um ein Leben oberhalb der absoluten Armutsgrenze zu führen.
Abgesehen davon ist das Narrativ, das hier kolpotiert wird (genau wie oben) ein neoliberales, nämlich dergestalt, dass man sich einen besser ausgebauten Sozialstaat „halt nicht leisten kann“, was schon z.B. im Hinblick auf die Investitionen im Rüstungsbereich oder den Geldsummen, welche dem Staat durch Steuerhinterziehungen entgehen einfach Unsinn ist.
Zitat
Zum Lohndumping: Soweit ich weiß, gibt es in Deutschland seit der Initiation des flächendeckenden Mindestlohns keinen Niedriglohn-Sektor mehr.
Ich habe keine Ahnung woher du diese Information hast, aber wie Grunkins
Niedriglohn definiert sich als 2/3 des Medianstundenlohn, dies entspricht ungefähr 9,50€, der Mindestlohn liegt bei 8,84€.
schon aufzeigt, ist deine Behauptung nicht wahr. Insbesondere ist es ein Trick von Unternehmen, sich Leiharbeiter zu holen, die dann unterhalb des branchenspezifischen Mindestlohns arbeiten. Durch derlei Tricks geht das Drücken der Löhne also weiter.
Angesichts der Diskussionen der letzten Monate, ist das "Abstreiten" anderer Möglichkeiten oder das "Ersticken" von Diskussionen im Keim einfach nur absurd. Wir diskutieren seit Monaten, eigentlich seit Jahren über das Schließen von Fluchtrouten. Merkel war selbst maßgeblich daran beteiligt, die Balkanroute zu schließen, Abkommen mit der Türkei abzuschließen, die Regierung unterstützt indirekt das Aufhalten der Mittelmeerflüchtlinge in Libyen. Bei dieser Sachlage von erstickten Diskussionen zu sprechen, lässt sich rational nur schwerlich erklären.
Wie auch aus deiner Umfrage hervorgeht, schwächeln übrigens am meisten die Parteien, die versucht haben die AfD rechts einzuholen. Auch dieses Faktum ignorierst du in deinem Narrativ fortlaufend.
Das Problem dürfte sein, dass die AfD es geschafft hat sich in den Köpfen der Leute als die Partei zu verankern, die „anpackt“, „sich kümmert“ und die „das Kind beim Namen nennt“ (eine Strategie, die Vertreter im rechten Lager schon in Prä-AfD-Zeiten verfolgten und z.B. von dem damaligen NPD-Vorsitzenden Udo Voigt als „Kampf um die Köpfe“ bezeichnet wurde) und die etablierten Parteien bisher nur reagiert haben (was konzeptionell mit der Ankündigung Alexander Gaulands „Wir werden sie jagen“ harmoniert). Die AfD diktiert also die Themen, was den Eindruck erweckt, dass alle anderen nur Nachzügler sind, die die AfD kopieren, was wiederum bei denen, die sich ohnehin schon abgewendet haben (oder im Abwendungsprozess begriffen sind) vermutlich zu der Fragestellung führt
„Warum soll ich Parteien wählen, die bisher gegen meine Interessen gehandelt haben und erst jetzt wo eine Partei auftritt, die die Probleme wirklich benennt anfangen zu handeln und die mir sowieso wieder nur in den Rücken fallen, wenn ich mich jetzt wieder umorientiere? Warum denn nicht zur wirklichen Opposition gehen?"
Im Prinzip ist das das Gleiche was auch Donald Trump in den USA gemacht hat. Sich als starken Kümmerer und „Mann aus dem Volk“ präsentieren, der die Sorgen der Leute ernst nimmt und – ganz wichtig- die Emotionen der Bevölkerung ansprechend Wahrheiten, Halbwahrheiten und Unwahrheiten vermischen um (die Psychologie der Massen ausnutzend) ein bestimmtes Bild zu verbreiten.