Bundestagswahl 2021 - ehemals 2017

  • Zitat

    Woher kommt da das „offiziell“? Meinst du damit die Anerkennung der baltischen Perspektive durch bestimmte westliche Staaten?


    Diese bestimmten westlichen Staaten waren die drei verbleibenden Siegermächte. Sie haben in Yalta den Anschluss des Baltikums lediglich de facto, nicht de jure anerkannt.

    Natürlich kann man ihre Weisheit in Frage stellen. Wenn man sich die entsprechenden Protokolle und Zeitzeugenberichte durchliest, sollte man das vielleicht sogar. Aber sie bilden nun mal die Grundlage unserer heutigen europäischen Ordnung, an der aus meiner Sicht nur revisionistische Narren militärisch rütteln möchten.

    Selbst Russland räumt übrigens auf üblich verquere Weise ein, dass zumindest die Okkupation widerrechtlich war.


    Zitat

    Charakteristisch eine Szene im Moskauer Kreml – vor exakt fünf Jahren: Eine estnische Journalistin schafft es während einer Pressekonferenz bei Wladimir Putin – damals zwischenzeitlich russischer Ministerpräsident – mit einer simplen Frage eine äußerst gereizte Reaktion auszulösen:

    „Warum fällt es Ihnen so schwer zu sagen: ‚Entschuldigt uns für die Okkupation Eures Landes?‘ – Denn wenn Sie das sagen würden, könnten wir sehr leicht miteinander leben.“

    Wladimir Putin:

    „Vielen Dank für Ihre Frage. Sie kommt mir wie gerufen. Nehmen Sie bitte die Erklärung des Kongresses der Volksdeputierten aus dem Jahr 1989 zur Hand: Sie verurteilt den Molotow-Ribbentrop-Pakt und bewertet ihn als rechtlich gegenstandslos. Dieser Pakt hat nicht die Meinung des Sowjet-Volkes wiedergegeben, sondern ist eine persönliche Angelegenheit zwischen Stalin und Hitler. – Was kann man denn noch genauer und klarer zu dieser Frage sagen?! Oder wollen Sie vielleicht, dass wir das jetzt jedes Jahr machen?! Wir finden, dass diese Frage abschließend behandelt und beendet ist. Wir werden das nicht mehr aufgreifen. Wir haben das e i n m a l gesagt. Das reicht!“


    But wait, there is more!

    Zitat
    „Wenn 1939 die baltischen Republiken in den Verband der Sowjetunion eingetreten sind, dann konnte die Sowjetunion diese Länder im Jahr 1941(!) gar nicht okkupieren, weil sie Teil der Sowjetunion waren. Vielleicht war ich mal kein besonders guter Jura-Student, weil ich in meiner Freizeit viel Bier getrunken habe. Aber an so manches von damals kann ich mich noch erinnern. Wir hatten gute Lehrer...“


    https://www.deutschlandfunk.de…schenk-an-stalin-100.html


    Weil man der Selbstangabe über den Bierkonsum wohl zustimmen muss: Der Beitritt erfolgte 1940, da fand die Okkupation bereits statt.


    Bitte nicht falsch verstehen, ich halte die vielen Annexionen aus den 20ern für ethisch genauso verwerflich und entsprechende Befreiungsversuche der betroffenen Ländern für vollkommen verständlich. Sie sind nur nicht genauso so gut dokumentiert und offensichtlich, wie im Fall des zweiten Zusatzprotokolls zu Molotow-Ribbentropp. Deshalb habe ich gebeten, zumindest diese Länder auszuklammern, wenn man verbal die SU bemühen möchte.

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  • Da ich versprochen hatte nachzuliefern:


    Eine frei zugängliche Quelle zur Wirtschaft in der DDR mit der ich wegen der Detailtiefe halbwegs zufrieden bin und die nicht auf die üblichen "Pleite-Zahlen" reinfällt.

    Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sollte über Dilettantismus erhaben sein.



    Die Jahre 1989 und 1990: das wirtschaftliche Desaster der DDR: schleichender Niedergang und Schocktherapie (econstor.eu)



    Zitat

    In der Wissenschaft ist die Meinung ziemlich eindeutig. Die DDR hat eine „substanzverzehrende Sozialpolitik“ (Hübner 1998: 74) betrieben. Sie hat also übermäßig, da der Wirtschaftsleistung nicht entsprechend, konsumiert. Oder, wie die langjährige Leiter der Staatlichen Plankommission der DDR ausführte, war die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik „von Beginn an widersprüchlich und trug den Keim der Pleite in sich“ (Schürer et al. 1998: 151)



    Zitat

    Die DDR war vor 20 Jahren politisch am Ende und geriet auch wirtschaftlich immer mehr ins Schlingern, wenngleich sie zur Zeit des Mauerfalls keineswegs bankrott war. Sie hatte über ihre Verhältnisse gelebt; durch die übermäßige Ausrichtung an sozialen Leistungen und am Konsum hat sie ihre wirtschaftliche Basis mehr und mehr aufgezehrt. Die Währungsunion gab der DDR-Wirtschaft den Todesstoß. Aber was war die Alternative? Gewiss wäre ein Prozess, wie er in anderen ehemaligen RGW-Staaten stattfand, ökonomisch sinnvoller gewesen, wo man versuchen musste, unter dem Schutzschirm des Wechselkurses qua Privatisierung der staatlichen Betriebe und über eine schrittweise Steigerung der Produktivität sich mehr und mehr an das Leistungsniveau des Westens heranzuarbeiten.

    Ein solcher Weg war allerdings beschwerlicher, und mitunter mussten die Bürger erhebliche Belastungen hinnehmen. Beispielsweise kam es nach dem Umbruch in Polen zu einer Hyperinflation, durch die zwei Drittel der Ersparnisse der privaten Haushalte aufgezehrt wurde. Gleichwohl kam es dort nicht zu politischen Aufständen, weil – so Szomburg (2000) – bei den Bürgern dort die errungene politische Freiheit im Vordergrund stand und zunächst nicht so sehr die materiellen Lebensbedingungen; in der DDR sei die Rangfolge eine andere gewesen. Aber immerhin kam es in den mittel- und osteuropäischen Staaten zu einem Reformprozess aus eigener Kraft heraus mit durchaus beachtlichen Wachstumsraten bei der Wirtschaftsleistung. Im Falle der DDR kam es dagegen zu einem Schock, der bei den Bürgern dort mit einer enormen Wohlstandsvermehrung einherging, aber zu einem weitgehenden Zusammenbruch der Wirtschaft führte.

    (..)

    Die Politik war also weitgehend gefesselt. Allerdings hätte man seitens der Politik die Erwartungen der DDR-Bürger etwas dämpfen können und ihnen nicht Versprechungen über eine rasche Angleichung der Einkommen an das Westniveau machen müssen, die sich, wie sich später herausstellte, auch nicht erfüllen ließen. Überdies gibt es gar kein „Westniveau“, sondern die Einkommen innerhalb der alten Bundesländer variieren erheblich zwischen einzelnen Regionen je nach der Wirtschaftskraft



    Den letzten Absatz habe ich eigentlich nur rausgepickt, weil er zufällig Grunkins Anmerkungen abdeckt.

    Die grundsätzliche Nicht-Tragfähigkeit des wirtschaftlichen Systems und die Abhängigkeit vom Verkauf von russischem Öl samt Derivaten sollten gut herauslesbar sein.

    Da wir uns teilweise auf einer persönlicheren Ebene unterhalten haben und ich beides nicht vermischen möchte: Der Artikel liest sich als ehemaliger DDR-Bürger vermutlich verhältnismäßig brutal. Daher erneut: Es ist nicht meine Absicht von einem - aus meiner Sicht - dysfunktionalen System auf individuelle Leistungen innerhalb dieses Systems zu schließen.


    Vielleicht noch als Hintergrund, weshalb mir das Thema überhaupt wichtig ist: Ein Analyst, über den ich neuerdings gestolpert bin, hat einen Punkt daraus gemacht, dass der wirtschaftliche Kollaps erst nach der Wende eingetreten ist und deshalb psychologisch mit der Wiedervereinigung und nicht der massiven Fehlstellung davor verbunden wird.

    Das erscheint mir logisch, allerdings kann ich nicht beurteilen, ob sich die Lebensqualität in der DDR bereits vor der Wende spürbar verschlechtert hatte. Da wäre ich um Quellen oder Erste-Hand-Erfahrungen dankbar.

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  • Ich bin eigentlich daran interessiert, morgen auf eine Demo zu gehen, aber irgendwie ist es gar nicht so einfach, was zu finden. Entweder bekomme ich Veranstaltungen vom letzten Jahr angezeigt oder welche, die von den Schwarzers und Wagenknechts dieses Landes ausgerichtet werden. "Damit das Böse gewinnt, reicht es, dass das Gute ein Organisationsproblem hat."

    "You're going to fight that?"
    "I'm going to kill that."

  • Ach Mensch, letzte Woche hätte ich dir alle Demos (und ich meine ALLE) anbieten können. Ich werde normalerweise unter Gemeinsam gegen den Krieg fündig.

    Ist aber zugegebenermaßen nicht so einfach, da die Anhänger von Frau Wagenrechts auch ganz, ganz große Pazifisten sind und die Mottos entsprechend alle recht ähnlich klingen.

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  • Es war in der Tat nicht ganz einfach, eine zu finden, wo ich sicher sein kann, dass mir keiner erzählt, wie schlimm der Verteidigungskampf der Ukrainer ist. Bin jetzt aber fündig geworden. :)

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    "I'm going to kill that."

  • Ich bin so sehr enttäuscht von und so wütend auf einen großen Teil der "Friedensdemonstranten" am Wochenende in Berlin.

    Diese so offen zur schau gestellte Verachtung von Realität und Demokratie macht so wütend...

    Und so viele Lügen aus den Mäulern von Wagenknecht und Schwarzer...

    There are but two types of people in the world:
    1. Those who can extrapolate from incomplete data!

  • Diese bestimmten westlichen Staaten waren die drei verbleibenden Siegermächte.

    Klar, ich hatte bei "offiziell" nur gedacht, dass der Ablauf der Okkupation an sich vielleicht erleichtert, das Verbrechen der Sowjetunion völkerrechtlich auf den Punkt zu bringen, aber die Grausamkeiten scheinen ja erst nach dem eigentlichen Besetzungsvorgang angefangen zu haben.


    Bitte nicht falsch verstehen, ich halte die vielen Annexionen aus den 20ern für ethisch genauso verwerflich und entsprechende Befreiungsversuche der betroffenen Ländern für vollkommen verständlich.

    Davon bin ich ausgegangen. Umso interessanter fand ich, wo du die Besonderheit beim Baltikum gesehen hast. Danke für den Link.

  • Nochmal zum Thema Wagenknecht und Demokratiefeindlichkeit... Der dunkle Parabelritter hat diese verlogene Bitch nochmal gut in seinem neuesten Video ausgeleuchtet.

    Vieles darin ist wirklich interessant.

    Sie hatte wirklich oft die Chance, einfach nur links zu sein.

    Aber Ego vs Reality ist halt immer ein Kampf mit offenem Ende...

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  • Ich glaube, wenn man ein paar Millionen Stalinopfer nicht anerkennen möchte, hat die Realität schon vor einer ganzen Weile aufgelegt.


    Ansonsten kenne ich es hauptsächlich von Herren deutlich fortgeschrittenen Alters (aktuell Roger Waters), dass der Sinn für Tatsachen mit einer Rakete in die Unendlichkeit des Alls abhebt - insofern, vielen Dank, liebe Alice, für deinen wichtigen Beitrag zur Gleichstellung.

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  • Ich versuche jetzt einfach mal Erbauer zu channeln.


    Falls du hier irgendwann reinguckst - oder sonst irgendwer, der sich mit der Materie auskennt - wärst du so nett mir kurz aus deiner Perspektive Micheil Saakaschwili einzuordnen?

    Ich tue mich schon seit längerer super schwer damit. Nicht mangels Bemühungen, sondern weil den üblichen Quellen wie Wikipedia schnell die Puste ausgeht sobald man Mainstream-Themen verlässt (was östlich von Deutschland etwa nach 4 Sekunden passiert) und ich mich ohnehin ungern verlasse, wenn ich die Quellen zum Artikel nicht selbst nachlesen kann.

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  • Oh, da hänge ich mich einfach mal dran. Ich hatte vor Jahren ein Interview mit Hubert Seipel gesehen, indem es auch um den Georgienkrieg ging. Seipel meinte, Saakaschwili habe versucht, einen Kriegseintritt der NATO zu provozieren. Nun musste ich allerdings irgendwann später feststellen, dass Seipel ziemlich viel redet, wenn der Tag lang ist, und er eine, nunja, gewisse Nähe zu Putin aufweist. Was mir aber mehr bei der Beurteilung von Seipel als bei der von Saakaschwili geholfen hat. Diskussionen zur Einordnung des Georgienkrieges kamen ja im Zuge der russischen Invasion in die Ukraine wieder auf, wobei manche große Gemeinsamkeiten und andere große Unterschiede sahen.


    Hatte nicht Grunkins irgendwo erwähnt, dass Bush damals gedroht habe, einen russischen Vormarsch auf Tiflis wegzubomben? Vielleicht war es auch AracheonoXis ... Fand das damals auf jeden Fall eine sehr interessante Info, weil ich dazu anschließend trotz einigem Suchen nicht so wirklich was im Netz gefunden habe.

    "You're going to fight that?"
    "I'm going to kill that."

  • Hatte nicht Grunkins irgendwo erwähnt, dass Bush damals gedroht habe, einen russischen Vormarsch auf Tiflis wegzubomben? Vielleicht war es auch AracheonoXis ... Fand das damals auf jeden Fall eine sehr interessante Info, weil ich dazu anschließend trotz einigem Suchen nicht so wirklich was im Netz gefunden habe.

    Wenn ich mich nicht irre, hatte ich ein Interview mit Andreas Umland gepostet, indem er dies behauptet. Ich habe das sonst auch noch nie gehört, allerdings würde es mich nicht wundern, wenn derartige Drohungen hinter den Kulissen tatsächlich stattgefunden hätten, war ja noch die Welt von USA als "first to no second" oder wie das Zitat ging.

  • Ich tue mich schon seit längerer super schwer damit.

    Ich fürchte, das gilt auch für mich. Die ganz kurze Einordnung siehe ganz unten.

    Ich bin in einer Familie voller glühender Saakaschwilianhänger aufgewachsen. Ich war 2, als er an die Macht gekommen ist und als ich alt genug war, um mich selbständig mit dieser Person zu beschäftigen, war er abgewählt und ich lebte in Deutschland, wo ich bald kaum mehr auf Georgisch las. Meine Perspektive auf Saakaschwili baut also auf einer Mischung von emotionsgeladenen georgischen Diskussionen und deutschen Quellen auf und ich kann das Leben in seiner Regierungszeit kaum mit dem Leben davor oder danach vergleichen.


    Dabei ist das wohl ausschlaggebend, um die Unterstützung für Saakaschwili zu verstehen, die auch nach einem Jahrzehnt seit seiner Präsidentschaft besteht. Sein international anerkannter Erfolg liegt in der Bekämpfung von Korruption und Kriminalität und dem Wirtschaftswachstum. Das wissen seine Unterstützer, die die 90-ger in Georgien miterlebt haben, zu schätzen. Die Horrorgeschichten über Bestechungsgelder bei jedem Behördengang, ständige Stromausfälle, Überfälle und Einbrüche sind für mich und meine Altersgenossen eben nur Geschichten. Diese merkliche Verbesserung der Lebensqualität ist ein wichtiger Grund für sein Erfolg und etwas, wofür ich persönlich dankbar bin.


    Die Beliebtheit von Saakaschwili hat aber auch einen anderen Grund: Er hat es geschafft sich authentisch als Feind Russlands zu inszenieren. Mit seinem entschieden pro-westlichen Kurs hat er für Aufbruchstimmung gesorgt. Als Georgien zweitgrößter Truppensteller der NATO-Mission in Afghanistan war, Bush auf Georgiens Beitritt in die NATO drängte, das Land im Korruptionsindex einen Sprint hinlegte und in der EU die schnelle Entwicklung Georgiens gelobt wurde, wirkte es so, als gäbe es eine Chance auf Sicherheit vor Russland. Das hat sicher dazu beigetragen, dass die absolute Mehrheit der Bevölkerung den Beitritt in die NATO und EU befürwortet, obwohl schon seit 2013 eine russlandfreundliche Partei regiert. Die Tatsache, dass Saakaschwili in der Post-Maidan-Ukraine die Korruptionsbekämpfung fortgeführt hat und die Eier hatte, selbst Poroschenko der Korruption zu bezichtigen, hat seine politische Karriere wie einen persönlichen Feldzug gegen russische Interessen in der Postsowjetunion wirken lassen. Seit er trotz Haftbefehl nach Georgien zurückgekehrt ist und im Gefängnis einer russlandfreundlichen Regierung dahinsiecht, ist er für seine Anhänger schlussendlich ein Märtyrer geworden. Ich kann nicht beurteilen, wie viel er aus politischem Kalkül oder wegen einem kleinen Dachschaden macht, aber seine Laufbahn ist beeindruckend.


    Und die Fehltritte in seiner Laufbahn sind für mich völlig verworren. Was stimmt von den schweren Anschuldigungen, wegen denen er in Haft sitzt? Die Haft ist sicherlich politische Rache und soll Putin schmeicheln, aber das heißt nicht, dass er die Verbrechen (Missbrauch von Staatsgeldern, angeordnetes verprügeln eines Abgeordneten) nicht begangen hat. Fakt ist, dass er mit Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten vorgegangen ist und ihm auch im Westen autoritäre Züge vorgeworfen werden. Es gibt einen Skandal bezüglich eines oppositionellen Senders, die er stürmen lassen hat, bei dem ich nicht durchblicke. Egal welche Kontroverse, in Georgien bekomme ich sympathiebasierte Antworten auf meine Fragen und die westlichen Quellen berichten oft nur oberflächlich. Interessant finde ich, dass mein Vater, ein Fanboy der ersten Stunde, kürzlich nichtmal versuchte, autoritäres Verhalten von Saakaschwili abzustreiten und es stattdessen als notwendiges Mittel für die Etablierung eines funktionierenden demokratischen Staates rechtfertigte.


    Der größte Fleck auf Saakaschwilis Weste ist aber der Augustkrieg 2008. Laut dem EU-Bericht startete der Krieg mit einer georgischen Offensive in Südossetien. Für anderweitige Darstellungen der georgischen Seite gibt es keine Beweise. Das Vorspiel zu der Offensive ist ein Dschungel aus widersprüchlichen Berichten. Man kann noch so überzeugt sein, dass Russland auch ohne einen Präventivschlag Georgiens einmarschiert wäre, aber beweisen kann man das nicht. Auch die Ukraine, die in einer ähnlichen Situation trotz der Anbahnung einer russischen Invasion bis zu letzter Sekunde die Füße still gehalten hat, hilft da nicht weiter. Georgien steht als Mitverantwortlicher da und es besteht die Chance, dass der Krieg hätte verhindert werden können, wenn Saakaschwili sich nicht provozieren lassen hätte.


    Welche Rolle eventuelle Äußerungen der Amerikaner, wie die von Oberyn erwähnte, bei seiner Entscheidung gespielt haben, bleibt unklar. Ich weiß nicht, ob er ernsthaft auf einen Kriegseintritt der NATO gehofft hat, aber er muss doch mehr westliche Unterstützung erhofft haben, um eine Offensive anzuordnen.

    Den Augustkrieg und Saakaschwili zu verstehen, ist sowieso eine Lebensaufgabe und ich freue mich über jede Quelle und neue Perspektive.


    Ganz kurze Einordnung: Ich denke, Micheil Saakaschwili ist ein fähiger Politiker, der für eine schnelle und positive Entwicklung Georgiens gesorgt und die weichen für die Integration des Landes in den Westen gelegt hat. Ich bin gewillt zu glauben, dass ihm der Kampf gegen den russischen Imperialismus wirklich am Herzen liegt. Er hat aber viele Kontroversen um Machtmissbrauch mit sich zu tragen, die ich leider nicht durchblicke. Außerdem denke ich, dass er mit dem Präventivschlag im Augustkrieg 2008 den letzten Rest Hoffnung auf einen friedlichen Ausgang der Situation über Bord geworfen hat.

  • Nun, eine NATO Mitgliedschaft braucht gewisse unverhandelbare Vorbedingungen.

    Und die Mitgliedschaft wollte er und sein Georien.

    Dazu gehört, eine klare und feste Landesgrenze.

    Die gab es mit Abchasien und Südossetien nicht. Beide haben sich ja 1992 (?) für unabhängig erklärt.


    Vielleicht wollte er das ein für allemal klarstellen?


    Oder er wollte endlich die ständigen Grenzverletzungen durch Russland beenden?


    Das oben erwähnte Zitat hab ich auch nirgends gefunden im Gegenteil, Bush und Rice haben das russische Bombardement Georgiens verurteilt.

    Vielleicht ein freudscher Versprecher?

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  • Ein riesengroßes Dankeschön, dass du dir die Zeit genommen hast.


    Es hilft mir schon sehr weiter, dass mein Bauchgefühl von der von dir beschriebenen Perspektive nicht weit entfernt ist. Ein fähiger Politiker, der "bad cop" gegangen ist.

    Zu bad cops habe ich eine sehr umfassende Meinung, die sich darauf runterkochen lassen muss, dass sich die Rechtsprechung aus meiner Sicht mit absoluten Verboten staatlicher Mittel (s. Metzler Entführung) erstens zu faul tut und sich zweitens Maßnahmen immer am gesellschaftlichen und realhistorischen Rahmen orientieren müssen, in dem man sich bewegt.
    Man möge sich kurz vorstellen, mit welcher coolen Fernsehlandschaft der demokratische Nachfolger von Putin oder Erdogan vorlieb nehmen müsste. Selbstverständlich würden sich auch dann geschichtlich desorientierte Hippies finden, die auf Seite 140 des Buches einsteigen und Gegenmaßnahmen als Untergang der Pressefreiheit werten würden.

    Das Vorgehen gegen die Demonstranten müsste ich mir genauer ansehen, aber ich denke es wäre nicht geeignet meine Einstellung grundsätzlich zu überdenken. Ich glaube, ich habe sehr geringe Chancen durch die gegenseitigen Vorwürfe des Machtmissbrauchs (als Auslöser für die Proteste) durchzublicken.



    Ich glaube, was mich an meinem tendenziell positiven Bild von ihm am meisten verwirrt, ist die hartnäckige Verurteilung durch Surabischwili, die ihrerseits biographiebedingt eigentlich keine Gründe haben sollte zu russlandfreundlich zu sein und auch nicht so klingt, aber so handelt.
    Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass das Staatsoberhaupt in Georgien im Vergleich zu anderen Ländern verhältnismäßig wenig Kompetenzen hat und sie einfach keine Rückendeckung für Antagonismus hat, oder ob sie gerade den Jaruzelski spielt und einen echten oder vermeintlichen russischen Einmarsch zu verhindern sucht.

    Ich hätte sehr gern eines ihrer Bücher (Eine Georgische Tragödie) gelesen, aber leider ist mein Französisch nur unwesentlich besser als mein nicht vorhandenes Georgisch und mit meinen restlichen drei Sprachen komme ich nicht voran. Ganz bestimmt bleibt bei mir ein extrem fader Beigeschmack, wenn sie einerseits Saakaschwili als Überbleibsel des alten Regimes kritisiert und sich andererseits mit Lezawa einen "Ex"-KGBler zum Berater nimmt.

    Im Zweifel bleibe ich beim Spruch, dass Taten mehr sagen als Worte.


    Was Bush betrifft, kann ich mir nicht gut vorstellen, dass das Zitat so gefallen sein könnte. In diesem Zusammenhang sehe ich auch keine Schuld bei Saakaschwili.

    Ich lasse mal zwei Artikel da, gerade der von Politico ist extrem bitter gealtert.



    https://www.brookings.edu/opin…n-russia-give-me-a-break/


    https://www.politico.com/story…ary-use-in-georgia-032487

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  • Das oben erwähnte Zitat hab ich auch nirgends gefunden im Gegenteil, Bush und Rice haben das russische Bombardement Georgiens verurteilt.

    Vielleicht ein freudscher Versprecher?


    Welche Rolle eventuelle Äußerungen der Amerikaner, wie die von Oberyn erwähnte, bei seiner Entscheidung gespielt haben, bleibt unklar. Ich weiß nicht, ob er ernsthaft auf einen Kriegseintritt der NATO gehofft hat, aber er muss doch mehr westliche Unterstützung erhofft haben, um eine Offensive anzuordnen.

    Den Augustkrieg und Saakaschwili zu verstehen, ist sowieso eine Lebensaufgabe und ich freue mich über jede Quelle und neue Perspektive.

    Entweder bin ich jetzt verwirrt oder hier ist etwas durcheinandergeraten. Die Aussage von Umbach (es war nicht Andreas Umland, sondern Frank Umbach, mein Fehler) in dem Interview bezog sich, wenn ich das richtig verstanden habe, auf einen russischen Vormarsch und eine Besatzung Georgiens über die Regionen Abchasien und Südossetien hinaus, nachdem Russland den Krieg dort schon entschieden hatte. Es ging also nicht um eine Absicherung von Saakaschwilis Offensive, das wäre in meinen Augen auch Quark.


    Ob die USA das tatsächlich gemacht hätten ist eine andere Frage als ob sie damit gedroht haben. Aber wie gesagt, kenne ich auch keine andere Quelle dazu.


    Die These, dass Saakaschwili auf Unterstützung durch die USA gehofft hat und auch deswegen so stark in Afghanistan und im Irak beteiligt war, hört sich für mich jetzt nicht so wahnsinnig unplausibel an, wenn auch ziemlich überoptimistisch kalkuliert.


    Das war der Post mit dem Interview bei Minute 4:15 ist der Punkt.


  • Ich hatte vor Jahren ein Interview mit Hubert Seipel gesehen, indem es auch um den Georgienkrieg ging. Seipel meinte, Saakaschwili habe versucht, einen Kriegseintritt der NATO zu provozieren. Nun musste ich allerdings irgendwann später feststellen, dass Seipel ziemlich viel redet, wenn der Tag lang ist, und er eine, nunja, gewisse Nähe zu Putin aufweist.

    Aus aktuellem Anlass. Wer weiß, wie viele von solchen Mistkerlen, die uns jahrelang im ÖRR Russland erklärt haben, noch da draußen sind.

    "You're going to fight that?"
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