Was lest ihr gerade oder wollt ihr lesen?

  • Ich habe gerade Paladins Grace von T. Kingfisher beendet und möchte es den Damen ans Herz legen, wenn sie was für Kakao/Tee-Kuscheldeckenabende suchen.


    Es ist ein (Mittelalter-)Fantasy-Krimi-Romanze-Buch (mit Betonung auf Romanze würde ich sagen) und "warm" und "kuschelig" und "lighthearted" und bisweilen auf beinahe pratchettige Weise lustig.
    T. Kingfisher heißt eigentlich Ursula Vernon und hat den Nebula, den Hugo und auch praktisch sonst alles im Universum gewonnen, die kann also grundsätzlich durchaus was.


    Abgesehen davon ist..


    Stephen´s god died a little after noon on the longest day of the year.


    vermutlich der coolste erste Satz eines Buches, den ich innerhalb der letzten fünf Jahre gelesen habe. Falls jemand also Aufmunterung braucht und eine verhältnismäßig anspruchslose aber knuffig-kitschige und nie schlecht geschriebene Feel-Good-Lektüre sucht - das ist sie.


    PS: Ihr aktueller Roman heißt "A Wizards Guide to Defensive Baking" - nur um mal anzudeuten wohin es so humoristisch geht.

    I have been despised by better men than you.

    Einmal editiert, zuletzt von Maegwin ()

  • Hat eigentlich noch jemand hier die Gereon-Rath-Krimireihe von Kutscher gelesen und wartet auch sehr gespannt auf den 8. (und vorvorletzten Teil) - Olympia ? Ich warte ja schon lange das sein Bruder Severin einen Auftritt in der Reihe hat .. vielleicht ist es bei Olympia ja so weit...

    und es geht weiter <3 :)

  • Ich mache gerade einen Re-Read der Saxon Chronicles von Bernard Cornwell.
    Der letzte, 13. Band ist gerade auf Englisch erschienen, da wollte ich noch mal mit Uhtred auf die Reise gehen, bevor ich mich an den Abschlussband traue.

    Gruß, Beltane
    "See the path cut by the moon - for you to walk on"

  • Wildbow (John McCrae) - Pact
    Wildbow's zweite Web-Serie, diesmal angesiedelt im Modern-Supernatural-Genre: Eine moderne Welt mit Magie + den verschiedensten Fabelwesen. Die Geschichte hat ihren Ausgangspunkt im Erbe des Protagonisten, dessen Großmutter eine einflußreiche Magie-Praktizierende (practitioner) war. Zunächst mal sticht erneut das Worldbuilding deutlich positiv heraus. Ein Magie-System, das in den Grundzügen nicht revolutionär, aber sehr gut wirkt und durch die Ausarbeitung dann genial wird.


    Mini-Spoiler, nur zum Magie-System, aber man weiß es eben nicht von Beginn:


    Dabei bleiben die "Regeln" des Systems vage und soft genug, um mehr wie Magie als ein abstraktes Regelwerk zu wirken, aber definiert genug, um nicht wilkürlich zu werden. Dazu stecken wieder unfassbar viele Ideen, clevere Dialoge und einige sehr stark ausgearbeitete, einzigartige Charaktere darin, und natürlich auch wieder allgemeinere größere Themen, die im Vorbeigehen behandelt werden (hier vor allem gesellschaftlich, zum "Kreislauf der Generationen" a la "je älter, desto eher passt man sich dem bestehenden System an"). Zudem kann Wildbow Horror sehr gut schreiben (was man schon durch die Slaugherhouse Nine aus Worm wusste) und das bietet sich in diesem Genre natürlich an.


    Die Pacing-Probleme, die manche Leser hatten, kann ich nicht nachvollziehen, gerade weil der "Scope" der Handlung diesmal überschaubar bleibt.


    Nicht ganz sicher bin ich noch, ob ich mit dem Ende wirklich zufrieden bin. Es ist jedenfalls nicht so perfekt eine Krone auf allem Behandelten setzend, wie noch in Worm. Für mich war es beim ersten letzten leider eine leichte Enttäuschung.


    Trotzdem klare Empfehlung. 5/5

    Sarah Burns - The Central Parc Five - A Chronicle of a City Wilding

    Fand die Netflix-Miniserie (um fünf Jugendliche, den in einem unfassbar rassitischen und ungerechten Vorgang (von der Verhaftung bis zum Prozess) nach erzwungenen aber absurden Geständnissen eine skandalöse Strafe für die Vergewaltigung einer Joggerin, an der sie offensichtlich nicht beteiligt waren, erhielten) bewegend und wollte mehr über die Hintergründe erfahren. Habe das Buch leider vor einigen Monaten gelesen und kann meinen Eindruck nicht mehr klar genug von der Serie trennen. Fand es aber glaube ich durchschnittlich, wie auch mein goodreads sagt:
    3/5

    Karsten Dusse - Achtsam morden

    Thriller-Groteske um einen Anwalt, der durchs Achtsamkeits-Training vieles weniger ernst nimmt und dadurch irgendwann aus Versehen einen Mord gegeht. Ganz witziger Schreibstil, unterhaltsamer Plot (wenn auch manchmal sogar innerhalb des Genres etwas unglaubwürdig; Stichwort Sitzung im Kindergarten). Ich glaube nicht, dass auch eine Aussage zur Achtsamkeit dahintersteckt. Aber liest sich ganz gut weg. Solide Unterhaltung. 3/5

    Ian Banks - The Player of Games

    Mein erstes Culture-Buch. Es geht um eine hochentwickelte Post-Scarcity-Gesellschaft und einen Protagonisten darin, der sein Können im Spielen (von allen möglichen Brettspiel-Äquivalenten der Zukunft) in einem ernsten Kontext wird einsetzen müssen. Das Setting ist absolut genial und ich weiß jetzt schon, dass ich dort bald weiterlesen werde. Die Konzeption der Culture als sehr konsequent gedachte Beinahe-Utopie (zumindest nach bisherigem Wissen) ist faszinierend. Die erste Hälfte des Buchs, die nur innerhalb der Culture spielt, in der aber sehr wenig passiert, hat mich schon in ihren Bann gezogen. Danach ist das Buch für mich etwas abgefallen. Ich bin emotional mit dem Hauptcharacter nie ganz warm geworden, verstehe aber gut, wieso er so angelegt ist. Ich mag auch den Vergleich zwischen Culture und Empire, der einem insgesamt durch das Buch nahegelegt wird, der natürlich eindeutig ausgeht, aber je nachdem wieviel man nachdenkt und welche moralischen Werte man hat, möglicherweise näher an "Demokratie ist das am wenigsten schlimme Übel" als an "Utopie vs. Dystopie" ist. Die Action-Anteile (mit dem Botschafter) mochte ich gar nicht, aber sie gehören wohl an diese Stelle. Banks' Schreibstil war für mich eher "einfach da" und ist in keine Richtung aufgefallen. Der Plot ist auch nichts besonderes oder mitreißend. Aber allein wegen der Ideen/Themen/dem Wordbuilding sollte man das Buch gelesen haben. 4/5


    Tana French - Broken Harbour
    Das alte Muster war wieder da, ich kann gut auf meine vorherigen Kritiken verweisen: Superspannendes Buch, absolut mitreißend und auch ein einzig-artiger, toller Schreibstil. Interessanter Hauptcharakter, der gekonnt charakterisiert wird, aber ein Ende das sowohl beim Kriminalfall als auch beim Protagonist eher "Naja, okay" als super ist. Ist in diesem Genre für mich leider durchaus ein wichtiger Aspekt. Liest man ihre Bücher mehr als Charakterstudie denn als Krimi, kann man darüber vermutlich besser hinwegsehen. Für mich 3/5

    Cure Dolly - Unlocking Japanese

    Das Buch ist nur einer kleiner Ausschnitt der entsprechenden Youtube-Videos zum Lernen der japanischen Sprache (deren Präsentation ist furchtbar, aber mit Untertiteln + Ton aus + doppelter Geschwindigkeit kommt man gut klar). Die Inhalte sind das beste, was ich zum Lernen von japanisch gefunden habe, habe einiges probiert. Das Buch ist sehr kurz, bietet also nur einen kleinen Ausschnitt davon. 4/5

  • Oh, nicht spoilern bitte. Ich lese es auch noch.
    Ich glaube, ich war lange nicht mehr hier, muss Euch mal auf Stand bringen. :P
    Bin ein Comicfan geworden, auch wenn die kleine Schrift manchmal nervt, dabei hab ich inzwischen sogar ne Gleitsichtbrille.


    Umbrella Academy
    Fands ganz gut, aber die Serie mag ich lieber. Ich glaube, so ein riesiger Comicfan bin ich dann doch nicht, diese Superheldensachen, egal in welcher Coleur, meinetwegen auch so ironisch wie hier, faszinieren mich nicht. In der Serie kommt das nicht so rüber, dass sie Superhelden sein sollen, wahrscheinlich liegt sie mir deshalb mehr. Außerdem ist sie bunter.


    Die drei Leben der Hanna Arendt
    Ich bin von Politikwissenschaftler*innen umgeben und wollte schon immer mal wissen, was es mit Hanna Arendt auf sich hat. Das Buch ist sehr sehr spannend, ich verstehe die Faszination für diese außergewöhnliche Frau.


    Kein Comic: ich habe endlich mal mit Aronovichs Flüsse von London Reihe angefangen und finde sie gut. Ich würde jetzt nicht gerade begeistert sagen. Leider fehlen mir manchmal erzählerische Zwischenschritte oder Erklärungen. Manches bleibt bei mir auf der Strecke. Kleines Beispiel, das ich mal in Spoiler packe:


    Peter kapiert alles, ich leider manchmal nur die Hälfte. Muss mal schauen, ob mich das zunehmend nervt oder ob die lustige Schreibweise, die Schilderungen von London (da krieg ich unheimliches Fernweh ;( ) und die einigermaßen fesselnden Stories reichen.
    Wie findet Ihr die Reihe? Hat die einen eigenen Faden?


    Oh, da fällt mir ein, dass ich vorher noch Ein gutes Omen und Niemalsland gelesen habe und beide sehr mochte. Zum ersten Buch fand ich auch die Serie toll und sehr am Buch orientiert, das sind zwei richtige kleine Schätze. <3

  • Die Grunts sind für mich reine Sprechblasen für Eriksons Bier & MRE-Lagerfeuer-Philosophie. Was per se nicht zwingend etwas Schlimmes ist, das macht Sapkowski ja auch gern.


    Sapkowski finde ich bisher unterhaltsamer. Trotzdem erkenne ich in Eriksons Schreibe
    viele Qualitäten und in seinen Interviews hat er bei mir ein sympathischen, vernünftigen Eindruck hinterlassen. So gehört MBOTF tatsächlich zu den Buchreihen, bei denen es ich mir vorstellen kann,
    ihnen bei Gelegenheit noch einmal eine Chance zu geben. Spannend klingt auch seine Kharkanas Trilogy. Die soll im Grundton düsterer und philosophischer als die Hauptreihe sein und Erikson hat auch versprochen, sie zeitnah zu vollenden :thumbup:


    Ich bin inzwischen auch dazu gekommen, A Canticle for Leibowitz zu lesen. Seine philosophischen und theologischen Diskurse waren wirklich sehr interessant. Walter M. Miller Jr. muss ein sehr gebildeter Mensch gewesen sein. Das Worldbuilding fand ich überzeugend. Doch irgendwie hat mich die Geschichte an sich nicht mitgenommen. Ich bin aber auch hier bereit, später noch einmal an einen Reread zu wagen.


    Joe Abercrombies The Trouble with Peace war für mich bisher leider die Entäuschung des Jahres. Dem Rave Review bei Wertzone kann ich mich überhaupt nicht anschließen. Abercrombie fällt hier m.E. in längst überwunden geglaubte Schwächen (mäßiger Plot, repetitiver Humor und Charaktersierungen) zurück. Die Entwicklung der meisten Hauptfiguren (da v.a. Savine) hat mir einfach nicht zugesagt.


    Vielleicht liegt es auch an der dramatischen weltpolitischen Lage, dass ich zur Zeit Schwierigkeiten habe, mich auf fiktive Stoffe einzulassen. Auch prinzipiell interessante, gut gemachte TV-Serien wie Raised by Wolves oder Lovecraft Country können gerade bei mir keine wirkliche Begeisterung hervorufen. Dagegen lese ich wieder regelmäßig Newsfeeds, Blogbeiträge, Kommentare und Analysen zum politschen und wirtschaftlichen Geschehen. Dazu kommen einige Sachbücher. So kann ich The Age of Surveillance Capitalism von Shoshana Zuboff uneingeschränkt empfehlen.

    "Today it is recognized: Ukraine is not [...] a frontier between orcs and elves."

    Einmal editiert, zuletzt von a.rogue.prince ()

  • Sapkowski ist unterhaltsamer, schreibt aus meiner Sicht aber auch qualitativ inkonsestenter als Erikson. Ich fürchte auch, dass niemand der ein Interview mit Sapkowski gelesen hat, ihn sympathisch finden wird. :)


    Die netteste Socke, die ich tatsächlich persönlich erleben durfte ist übrigens Abercrombie, der damals von den Moderatoren doch arg wegen seines unausgereiften Stils veräppelt wurde. Tut mir ein bisschen leid um ihn, bei seinen durchaus interessanten Einzelideen würde ich ihm alles Gute wünschen.


    Das klingt ein bisschen, als ob Canticle doch sehr, sehr trocken wurde?


    Ich muss zugeben, dass bei mir genau umgekehrt der Tolkien-Effekt eingetreten ist - je leichter und eskapistischer umso besser.


    Nur Obamas Buch möchte ich mir in nächster Zeit doch zu Gemüte führen. Ich habe mir am Wochenende ungeordnet alte Auftritte angesehen und finde es spannend, wie er mit Humor Aufmerksamkeit generiert um den Fokus der Menschen zu gewinnen und auf ernstere Themen zu lenken. Vielleicht ist das tatsächlich eine der wenigen Möglichkeiten um mit angst- und wutgetriebener Aufmerksamkeit zu konkurrieren.

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  • Habe vor wenigen Wochen ein dem "Lobgesang für Leibowitz" thematisch eng verwandtes (aber keineswegs abgekupfertes) Buch genossen: "Die Enkel der Raketenbauer" von Georg Zauner.
    Hier versuchen ebenfalls Mönche in einer harten Endzeit Relikten unserer untergegangenen Epoche einen Sinn abzugewinnen, diesmal allerdings in Bayern. Die Handlung spielt überwiegend im "Feld" Munic, einer Ausgrabungsstätte, ehemals eine große Stadt.
    Formell eine Pseudodokumentation, als Sammlung von Mönchs-Dokumenten aufgemacht, die wiederum von einer noch ferneren Zukunft aus betrachtet werden (wie im Leibowitz gibt es eine Wiedergeburt der modernen Zivilisation, wenn auch nur angedeutet in den editorischen Hinweisen)
    Originell, lustig und ernsthaft.

  • Ich habe zuletzt "Der Bär und die Nachtigall" gelesen. Erster Band der "Winternacht-Trilogie", von Katherine Arden.
    Es ist eine märchenhafte Fantasy-Story, die im mittelalterlichen Russland spielt. Es geht um die junge Tochter eines Provinz-Fürsten, ihre Gabe des 2. Gesichts, den Winter und den Winterkönig, Haus- und Naturgeister, Christentum gegen die alten Bräuche, und noch mehr.
    Seit langer Zeit hatte ich nicht mehr so viel Lesevergnügen im Fantasy-Genre. Gerade kann ich mich nur nicht entscheiden, ob ich sofort mit dem 2. Buch weiter mache, oder ob ich auf die Feiertage warte, um gemütlich und in aller Ruhe vor dem Ofen weiter zu lesen.

    It`s not easy to be a birdplane.


    Ich muss meine Reaktionen haben dürfen!

  • „Der Bär und die Nachtigall“ hatte ich schon länger auf meiner Liste. Hört sich an als wäre das genau der richtige Stoff für kuschelige lange Winterabende mit Buch und Tee. Die Triologie von Arden hatte überall sehr positive Kritiken bekommen und dein Feedback gibt mir jetzt den letzten Ruck das ganze diesen Winter anzugehen.


    Lese grade „Der Orden des geheimen Baumes“ von Samantha Shannon. Bin erst 200 Seiten weit aber bis jetzt gefällt mir das ganze sehr gut. Es geht mal wieder um Drachen, bisher reizen mich aber die wirklich gut eingeführten Charaktere am meisten. Das ganze ist im deutschen mit 2 Bänden abgeschlossen, also ist auch eine Ende direkt vor Augen. Was ich zur Abwechslung mal ganz reizvoll finde bei den ganzen unvollendeten Fantasy Zyklen.

  • Hört sich an als wäre das genau der richtige Stoff für kuschelige lange Winterabende mit Buch und Tee


    Absolut. Ich werde mir die Fortsetzung tatsächlich auch für die Feiertage aufheben. Vorfreude ist reichlich da, hoffentlich wird die Erwartungshaltung nicht zu groß...

    It`s not easy to be a birdplane.


    Ich muss meine Reaktionen haben dürfen!

  • keine Zeit ?
    Gerade das Hörbuch beendet


    Doch doch, aber die müssten ja bei der Ausgangslage ja dann völlig anders werden :huh:


  • Doch doch, aber die müssten ja bei der Ausgangslage ja dann völlig anders werden

    wie hat dir das Buch denn allgemein gefallen?


  • Ich habe die Witcher-Serie gelesen (nur der letzte Zusatzband fehlt mir noch, aber die eigentliche Geschichte mit der Vorgeschichte habe ich durch), die mir gut gefallen hat.


    Dann habe ich noch "Achtsam morden" und "Mein inneres Kind will achtsam morden" gelesen. Wie so oft lässt der zweite Band etwas nach. Aber beim ersten Band habe ich mich gut amüsiert.

    Einmal editiert, zuletzt von Hildegunda ()

  • Ein etwas verspäteter literarischer Jahresrückblick. Da bei mir dieses Jahr die Sachbücher dominiert haben, sind es für Lockdown-Umstände erschreckend wenig Romane geworden...

    Underground Railroad (Colson Whitehead)


    Ich habe in den letzten Jahren einige Romane über die amerikanische Sklaverei und den Rassismus und Sexismus in den Südstaaten gelesen, Faulkners „Licht im August“ oder die beiden Bestseller von Sue Monk Kidd; „Die Bienenhüterin“ und „Die Erfindung der Flügel“. Underground Railroad behandelt diese Thematik, indem es die Flucht der Sklavin Cora mithilfe der Underground Railroad, dem Netzwerk mit deren Hilfe Sklaven bei der Flucht in die Nordstaaten unterstützt wurden, erzählt. Die Underground Railroad gab es tatsächlich, Whitehead nutzt aber einen Kniff: In seiner Erzählung hat sie die Form einer richtigen U-Bahn, in der dampfbetriebene Züge durch hunderte Kilometer Tunnel fahren. Bereits Coras Mutter ist geflohen und Cora fragt sich praktisch ununterbrochen, warum diese sie damals zurückließ und ob sie sie wiederfinden wird. Bei ihrer Flucht aus Georgia gelangt sie nach South Carolina, wo vermeintlich progressive Sozialformen mit einer teilweisen Befreiung der Sklaven durchgeführt werden, bald stellen sich diese aber auch als Testfeld für medizinische Experimente heraus, z. B. für Sterilisationen. Cora flieht erneut und gelangt nach North Carolina, wo eine brutale Repression gegen die schwarze Bevölkerung herrscht und an den Straßen kilometerlange Reihe gekreuzigter Sklaven auftauchen. Später gelangt sie weiter nach Norden, aber die Sklaverei verfolgt sie. Das Ende enthält eine Spur von Hoffnung*, der Epilog wiederum eine Information, die die ganze Geschichte noch tragischer macht.** Mich hat sehr beeindruck, wie Colson Whitehead die vollkommene Ausweglosigkeit, die Omnipräsenz, den Totalitarismus der Sklaverei beschreibt. Häufig habe ich eher Geschichten gelesen, in denen es um funktionale Auswege, um erfolgreiche Rebellion ging, die Pointe in Underground Railroad ist, dass es keinen Ausweg aus diesem System gibt, außer der endlosen Flucht. Die geschilderten Grausamkeiten sind aber selbst für dieses sehr spezielle Spielfeld hart an der Grenze des erträglichen, etwa wenn Cora mit zwölf hinter den Baracken von älteren Sklaven vergewaltigt wird.


    *


    **



    Der Graf von Monte Christo (Alexandre Dumas)


    Ein wahnsinnig spannender Unterhaltungsroman, indem man sich wirklich völlig verlieren kann und der daher sehr gute Urlaubslektüre war. Vor allem rechne ich ihm eins hoch an: Mir ist es endlich, nach längerer Zeit, gelungen, wirklich in eine Welt einzutauchen. Ich habe als Jugendlicher sehr viel Fantasy und ein bisschen Science Fiction gelesen und dieses Gefühl geliebt, bei den gut gealterten (Tolkien/Harry Potter/Star Wars, etwa platter Percy Jackson, weniger fantastisch die Schatzinsel) spüre ich es immer noch, aber neue Welten habe ich mir nicht mehr erschlossen. Schon das Lied hat mich nicht mehr ganz so sehr in den Bann gezogen und danach kam nichts mehr. Der Graf von Monte Christo spielt natürlich im historischen Frankreich, daher war das Gefühl etwas anders, aber zumindest dorthin konnte ich mich im Geiste dort frei bewegen.


    Der Glöckner von Notre Dame (Victor Hugo)


    Hat mir ebenfalls sehr gefallen, literarisch sicherlich ein anders Level als Dumas und dementsprechend auch anspruchsvoller zu lesen. Ich mochte die absurd-komische Tragik und verstehe nun, warum man sich gerne den Nick „Esmeralda“ gibt und warum Leute bei dem Brand von Notre Dame geweint haben (sollen). Lediglich der Kampf um die Kathedrale war mir etwas „too much“ hier wird Romantik schon beinahe zur Fantasy.


    Verstand und Gefühl (Jane Austen)


    „Verstand und Gefühl“ (gerne auch als „Sinn und Sinnlichkeit“ übersetzt) war mein fünfter Jane Austen Roman und ich würde ihn nur ganz knapp unter „Stolz und Vorurteil“, der für mich nur hinter „Emma“ liegt, ansiedeln. Ich habe mit „Northangar Abbey“ angefangen und mochte damals die Charakter- und Sozialstudien und das Augenzwinkern der Autorin, fand aber das Setting etwas anstrengend. Schließlich geht es bei Jane Austen nur um die Charakter und die Beziehungen der Charaktere und das immer anhand des omnipräsenten Themas der Heirat. Alles andere, ob Sir Thomas nun 7000 oder 8000 Pfund hat die Damen gerade wieder Handarbeiten machen, während eine von ihnen am Klavier dudelt und eine andere der Magd Anweisungen gibt ist nur schmückendes Beiwerk und etwas langweilig, mit jedem Roman bin ich aber besser in diese Umgebungen reingekommen.


    Allegro Pastell (Leif Randt)


    Angesichts der bisherigen Titel vielleicht etwas überraschend, aber: Allegro Pastell war mein uneingeschränktes Highlight dieses Jahr. Der Roman schildert die Beziehung zwischen dem Mitdreißiger Webdesigner Jerome und der erfolgreichen Jungautorin Tanja, die von Tanja plötzlich und ohne ersichtlichen Grund in Frage gestellt wird. Die Faszination für diesen Roman dürfte für viele nicht nachvollziehbar sein. Bei mir fängt es beim Stil an: Jeder Gedanke den Jerome oder Tanja haben wird ausführlich und mit einer Wortwahl geschildet, die einem normalerweise nicht für innere Monologe in den Sinn käme (zum Beispiel „potenziell“), zudem werden sehr häufig „Jugendwörter“ oder alberne Anglizismen eingesetzt. Der Stil passt hervorragend zum Inhalt, denn Jerome und Tanja sind Charaktere, die perfekte Selbstkontrolle ausüben, keine echten materiellen oder emotionalen Probleme haben (bis auf Tanjas „ungeplanten“ Aussetzer) und ihr Leben nach eigenem Gutdünken designen und ästhetisieren. Das ist zum einen schreiend komisch, etwa wenn in Tanjas Nähe in Berlin ein Hindu-Tempel aufmacht: „Tanja gefiel die Vorstellung, dass es in ihrer Nachbarschaft eines Tages repräsentative Bauten für sämtliche Religionen geben könnte. Alles, was sie über Hinduismus wusste, hatte sie in der neunten Klasse ihres Kieler Gymnasiums gelernt: dass man von Wiedergeburt zu Wiedergeburt zwischen verschiedenen Kasten und Lebensformen auf- und absteigen konnte und dass es viele Götter gab, die als Mischwesen zwischen Tier und Mensch dargestellt wurden. Das war im Grunde genommen sympathisch. Vielleicht würde Hinduismus eines Tages eine Option werden, nicht unbedingt für Tanja, die ja nicht mal Yoga mochte, aber für irgendwen, den sie kannte.“ Tanja und Jerome sind Meister der Kommunikation, sie wissen stets wie sie auf andere wirken und sie wissen, welche Knöpfe sie beim anderen drücken müssen, gleichzeitig wissen sie aber auch ganz genau, wann der andere weiß, dass sie dies absichtlich tun. Es gibt Unmengen von Reflexions- und Gedankenschleifen, es wird ununterbrochen alles bis ins Detail kommuniziert (Iljoma Mangold von der ZEIT beschreibt dies so, dass es früher immer um dysfunktionale Beziehungen mit zu wenig Kommunikation ging und nun um zu viel). Die emotionale Selbstkontrolle geht soweit, dass Dinge getan werden, in dem Wissen, dass dann ein bestimmtes Gefühl einsetzt (auf dem Klappendeckel wird dies mit dem Zitat von Tanja „Vorauseilende Wehmut – bester Zustand!“ illustriert. Selbst vermeintliche Exzesse wie Sex oder Drogen sind keine echten Exzesse, auch diese werden auf ein bestimmtes Level gepegelt, bei dem die Kontrolle nie ganz entgleitet. Allegro Pastell wurde vielfach interpretiert und mir gingen beim Lesen viele gegenwärtige Begriffe aus der Soziologie durch den Kopf „Individualismus“, „Singularitäten“ etc. aber schließlich hat mich Insa Wilke vom Lesenswert-Quartett darauf gebracht, dass zentral eigentlich ein religiöser Aspekt ist: Auf der Front ist ein Sechseck abgebildet, das Symbol für die Allmacht Gottes. Jerome und Tanja sind ihre eigenen Götter. Sie können sich ihr Paradies nach Belieben im Diesseits schaffen, sie müssen nicht auf ein jenseitiges Paradies spekulieren. Passiert ihnen etwas negatives, wird das Ereignis einfach ästhetisiert und in das Lebensdesign integriert, sodass echtes Leid ausbleibt.


    Planet Magnon (Leif Randt)


    Planet Magnon ist vor Allegro Pastell erschienen und ich bin auf die obrige Interpretation auch erst gekommen, nachdem ich ihn gelesen habe. Das Setting ist zunächst ein ganz anderes, es spielt in einem besiedelten Sternensystem, welches von der künstlichen Intelligenz Actual Sanity regiert wird. Auch wenn es sich also um einen Science Fiction Roman handelt, wird ein ganz ähnlicher emotionaler Zustand der Figuren beschrieben; diese leben in Kollektiven zusammen, in denen bestimmten ästhetischen Gedanken nachgegangen wird. Entscheidend ist auch hier die Ausblendung von Leiden und Schmerz, von dem sich ein neues Kollektiv lossagt und deren Mitglieder stattdessen nach den eigenen Kränkungen und Traumata suchen. Im Vergleich zu Allegro Pastell ist Planet Magnon sehr viel politischer, die entscheidende politische Ressource in diesem System ist aber auch die emotionale Selbstkontrolle.

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